„Eine Debatte über Polizeigewalt, die nicht wegschaut!“

– Gemeinsames zivilgesellschaftliches Statement der ndo, Migrationsrat Berlin und Each One Teach One e.V.-

Selfie Lorenz

Der Tod des 21-jährigen Schwarzen Deutschen Lorenz in Oldenburg wirft wieder kritische Fragen zu Polizeigewalt, strukturellem Rassismus und der Aufarbeitungskultur in Deutschland auf. Die Obduktion ergab, dass Lorenz durch drei Schüsse von hinten – darunter ein Kopfschuss – getötet wurde, während er laut Polizeiangaben Reizgas eingesetzt haben soll.  

Die Diskrepanz zwischen der Darstellung der Beamten („bedrohliches Verhalten“) und den physischen Beweisen (Schüsse in den Rücken) unterstreicht die Notwendigkeit unabhängiger forensischer Untersuchungen, wie sie beispielsweise nach dem Hanau-Attentat von Forensic Architecture durchgeführt wurden. Dort wurden Versäumnisse wie ungesicherte Tatorte und versperrte Notausgänge dokumentiert, die auf systemische Defizite hinweisen. 

Polizeigewalt und Rassismus 

  • Oldenburg als Symptom eines strukturellen Problems: Die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ betont, dass tödliche Polizeieinsätze überproportional oft migrantisierte Menschen und BIPoC betreffen. Der Fall ähnele früheren Vorfällen, bei denen Gewalteskalationen durch rassistische Stereotype begünstigt wurden. 
  • Fehlende Transparenz: Trotz der Obduktionsergebnisse und öffentlicher Empörung verweigert die Polizei weitere Stellungnahmen mit Verweis auf laufende Ermittlungen. Dieses Muster der Intransparenz erschwert eine vertrauensbildende Aufklärung. 

Forensische Aufarbeitung als Schlüssel 

  • Lehren aus Hanau: Die Arbeit von Forensic Architecture zeigte, wie lückenhafte Ermittlungen und unprofessionelle Tatortbehandlung Vertrauen zerstören. In Oldenburg muss eine vergleichbar rigorose, unabhängige Dokumentation erfolgen – einschließlich Ballistikauswertungen und Zeugenbefragungen unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Gruppen als Kontrollinstanzen. 

Reformbedarf bei Polizeistrukturen 

  • Rassismuskritische Einstellungsverfahren: Der Fall unterstreicht die Dringlichkeit, rassistische Denkmuster bereits bei der Rekrutierung von Polizist*innen zu identifizieren. Niedersachsen hat hier zwar erste Schritte unternommen, doch bundesweit fehlen verbindliche Standards. 
  • Konsequenzen für Einsatzprotokolle: Die mehrfachen Schüsse in den Rücken werfen Fragen zur Einhaltung der Verhältnismäßigkeit auf. Deeskalationstrainings und klare Regeln für Waffengebrauch müssen verbindlicher Teil der Polizeiausbildung werden. 

Wie Suraj Mailitafi von der Lorenz-Initiative betont: „Wir brauchen eine Debatte über Polizeigewalt, die nicht wegschaut.“ Solange Fälle wie Oldenburg oder Hanau nicht konsequent aufgeklärt und strukturelle Reformen blockiert werden, bleibt das Vertrauen in staatliche Institutionen massiv beschädigt.  

Aus dem Fall Lorenz in Oldenburg und vergleichbaren Vorfällen ergeben sich für die ndo und andere zivilgesellschaftliche Initiativen eine Reihe klarer politischer Forderungen, die auf strukturelle Veränderungen im Polizeiapparat und im Umgang mit Polizeigewalt abzielen müssen: 

Gesamtgesellschaftliche Reformansätze 

  • Deutschland braucht dringend eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Fragen Sicherheit und Konfliktbewältigung jenseits von Strafe, Gewalt und Ordnungspolitik: „Entwaffnung“ der Polizei, insbesondere in Bezug auf Schusswaffengebrauch. 
  • Ebenso eine Debatte über alternative Unterstützungs- und Konfliktbewältigungsstrukturen mit dem Fokus auf Deeskalation und Kommunikation. 
  • Weg von Ordnungs- und Sanktionslogik hin zu Versorgung und Unterstützung. 

Unabhängige Untersuchungsmechanismen

  • Es braucht unabhängige, unmittelbare und umfassende Untersuchungen bei Vorwürfen von Polizeigewalt, die außerhalb der Polizeibehörden angesiedelt und mit ausreichenden Ermittlungsbefugnissen ausgestattet sind. Nur so kann Transparenz und Vertrauen in die Aufarbeitung von tödlichen Polizeieinsätzen hergestellt werden. 

Rassismuskritische Polizeiarbeit und Ausbildung

  • Die Verankerung von Diversity- und Antirassismusinhalten sowie Antidiskriminierungsrecht in der Polizeiausbildung ist unerlässlich. Dazu gehören regelmäßige Anti-Diskriminierungs-Trainings und Sensibilisierung im Umgang mit Betroffenen. 
  • Es müssen Kriterien für die Erfassung rassistischer Tatmotive entwickelt und rassistisch motivierte Straftaten statistisch erfasst werden, um das Ausmaß struktureller Diskriminierung sichtbar zu machen.  
  • Eine spezifische Rassismus- und ableismuskritische Qualifizierung ist dringend notwendig, um überproportional von Polizeigewalt gefährdete Gruppen vor Polizeigewalt zu schützen. 

Transparenz und Kontrolle

  • Die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen wird gefordert, um individuelle Verantwortlichkeit bei Einsätzen sicherzustellen. 
  • Bodycams sollten verpflichtend bei allen Zwangsmaßnahmen eingeschaltet werden, um die Nachvollziehbarkeit polizeilichen Handelns zu erhöhen. 
  • Die Ausgabe von Kontrollquittungen bei Personenkontrollen soll verpflichtend und ohne Ausnahmen erfolgen, um Racial Profiling zu dokumentieren und zu verhindern. 
  • Reduzierung und Eingrenzung von Waffengebrauch allgemein 

Stärkung der Betroffenenrechte und unabhängige Beschwerdemechanismen

  • Es braucht niedrigschwellige, unabhängige Beschwerdestellen für Betroffene von Polizeigewalt und Diskriminierung, die nicht bei der Polizei selbst angesiedelt sind. 
  • Nach dem Einsatz von Gewaltmitteln, insbesondere Tasern, müssen ärztliche oder forensische Untersuchungen verpflichtend durchgeführt und alle Einsätze dokumentiert und veröffentlicht werden. 

Gesetzliche Nachbesserungen und parlamentarische Kontrolle 

  • Die aktuellen Polizeigesetze müssen menschenrechtlich nachgebessert werden, um Übergriffe und diskriminierende Praktiken wie Racial Profiling wirksam zu unterbinden.  
  • Der Präventivgewahrsam darf nicht weiter ausgeweitet werden, da er zunehmend zur Einschränkung von Grundrechten und zur Unterdrückung legitimen Protests missbraucht wird.  

Diese Forderungen zielen darauf ab, strukturellen Rassismus und Gewalt im Polizeiapparat zu bekämpfen, die Rechte und den Schutz von Betroffenen zu stärken und Vertrauen in rechtstaatliche Institutionen herzustellen. Die konsequente Umsetzung dieser Maßnahmen ist eine zentrale Voraussetzung für eine diskriminierungsfreie und demokratisch kontrollierte Polizei in Deutschland. 

Quellen